Natur- und artenschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen stehen in wachsenden Stadtregionen in zunehmendem Konflikt mit anderen Raumnutzungen und -gütern. In vielen Städten sind die äußeren Wachstumsgrenzen erreicht. Innere Wachstumsgrenzen sind – gerade in Anbetracht von Auswirkungen des Klimawandels – ebenso absehbar. Die Bereitstellung geeigneter Entwicklungsflächen wie auch zweckmäßiger Kompensationsstandorte stellt daher eine immer größer werdende Herausforderung dar. Unterschiedlichste, teils konkurrierende Nutzungsansprüche müssen befriedigt werden: Siedlung und Infrastruktur, Naturschutz und Erholung, Ver- und Entsorgung resp. Land- und Forstwirtschaft und viele weitere sind zu nennen. In den letzten Jahren hat sich der Druck auf die Fläche aus drei Gründen noch einmal erheblich intensiviert durch 1.) ein verstärktes Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsfläche, 2.) zurückgehende Aktivierbarkeit von Flächenpotenzialen im Innenbereich und 3.) neue Flächenbedarfe, u.a. für die Energiewende.
Zwei Schlüsselprinzipien gibt es, um die verschiedenen, stärker konkurrierenden und sich wandelnden Ansprüche an Fläche befriedigen zu können. Zum einen ist dies die Multifunktionalität der Landnutzung. Gefragt sind integrierte Lösungen, in denen auf einer Fläche mehrere Funktionen erfüllt werden. Zum zweiten bedarf es stadtregionaler Ansätze. Nur in der Stadtregion können durch Kooperation und Arbeitsteilung zwischen Kernstadt und Umlandkommunen jene Flächen bereitgestellt werden, die jenseits administrativer Grenzen nach funktionalen Kriterien geeignet sind, um Wohnraum, Arbeitsstätten, Mobilität, Erholung, Nahrungsmittelproduktion, natürliche Lebensräume u.v.m. zu gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund lohnt ein genauer Blick auf die Ressource Fläche in der Stadt-Umland-Beziehung: In der Fläche findet ein Austausch von Stoffen und Energien statt. Die Fläche bildet jedoch nicht nur die Folie für derlei Ströme, sie wird auch selbst zum Objekt des Austauschs – ein Vorgang, der bislang noch weitgehend unerforscht ist. Durch die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung werden Eingriffe, die auf einer Fläche stattfinden, auf einer anderen Fläche ausgeglichen: Hier entsteht ein Gewerbegebiet – dort wird ein Acker in eine Obstwiese umgewandelt. Galt in der Eingriffsregelung früher das Primat, in Eingriffsnähe auszugleichen, so hat die BNatschG-Novelle 2010 zu einer räumlichen Entkopplung geführt. Baden-Württemberg erlaubt seither eine Kompensation auch im nächstbenachbarten Naturraum (§ 15 Abs. 1 NatSchG BW).
Die Einführung von Ökokonten sowohl in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung als auch in der Bauleitplanung hat zudem zu einer zeitlichen Entkopplung geführt: Ausgleichsflächen können vorab hergerichtet werden, um zur Kompensation späterer Eingriffe genutzt zu werden.
Mit der Flexibilisierung der Instrumente dynamisiert sich der Flächenzugriff in Raum und Zeit. Die Kernstadt nutzt auch Flächen im Um- und Hinterland zur Kompensation. Flächenagenturen vermitteln landesweit potentielle Kompensationsflächen bzw. darauf umgesetzte Anrechnungs-berechtigungen/Ökopunkte. Große Landbesitzer engagieren sich ebenfalls in diesem Markt. Eine nachhaltige Landnutzung und der Flächen-/Bodenschutz stehen dabei nicht immer im Fokus. Gerade nicht-kommunalen Vorhabenträgern (z.B. Verkehrsträger) geht es oftmals um kostengünstigen, gleichwohl rechtssicheren Ausgleich. Es werden dabei zwar Flächen naturschutzfachlich aufgewertet, die Konsequenzen für andere Landnutzungen oftmals aber nur unzureichend betrachtet. Die Integration der Maßnahmen in umfassendere Strategien fehlt weitgehend. Was lokal begründet sein mag, steht aus regionaler Sicht in Frage. Gerade die Landwirtschaft leidet unter derartigen Praktiken, da sie nicht nur zweimal Fläche mit wertvollen Böden verliert (für Bebauung und für Ausgleich), sondern auch in ihren funktionalen Beziehungen gestört wird (kritische Hof- und Flurgrößen, Nachbarschaften, Zuwegungen, …).
Dies gilt im Wesentlichen auch für Maßnahmen des strengen und besonderen Artenschutz (§ 44 BNatSchG). Hier gilt allerdings die Flexibilisierung nicht in gleichem Maße –zunächst ist die ökologische Funktion von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im direkten räumlich-funktionalen Zusammenhang zu erfüllen, ansonsten ist eine Befreiung/Ausnahme der höheren Naturschutz-behörde erforderlich. Auch können Maßnahmen des Artenschutzes bislang nicht in einem Ökokonto „angespart“ werden. RAMONA geht also davon aus, dass Ausgleichsflächen zu oft ohne Mehrwert für andere Landnutzungen hergestellt werden. Positive Effekte für verschiedene Bereiche wären möglich, würde die Eingriffsregelung in der Praxis durch flankierende Vorsorgekonzepte schutzgutübergreifender umgesetzt. So können Ausgleichsmaßnahmen wichtige Beiträge zum Aufbau einer stadtregionalen „Grünen Infrastruktur“ leisten – etwa im Hinblick auf eine Anpassung an den Klimawandel, die Herstellung attraktiver Erholungsräume oder andere Ökosystemdienstleistungen („weiche Standortfaktoren“ in der Konkurrenz von Regionen).
© Bender